Die folgende Stellungnahme weist auf einige der Probleme hin, die von den Unterzeichnenden zu diesem Zeitpunkt wahrgenommen werden, und wir erkennen an, dass es darüber hinaus noch weitere Erlebnisse und Verletzungen geben wird, welche es verdienen, benannt und thematisiert zu werden.
Stellungnahme einiger Musiker*innen zur erstmaligen Verleihung des Deutschen Jazzpreises
Drei politisch hochproblematische Aspekte der Personalauswahl in Beirat, Jury und deutschlandweiten Nominierungen des Deutschen Jazzpreises:
- Jazz und Geschichte
Jazz hat seine Wurzeln in der Schwarzen Kultur Amerikas. Seine ursprünglichen Ausübenden lebten und arbeiteten in einem Land, in welchem rassistische Gewalt bis heute zum Alltag gehört. Diese besteht in vielen Formen auch in Deutschland. Für weiße Menschen, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, diese Musik zu spielen, zu präsentieren und darüber zu schreiben, ist es daher unerlässlich sich über strukturellen Rassismus und die Diskriminierung in unserer Gesellschaft aufzuklären und alles daran zu setzen, die Strukturen abzubauen, welche Rassismus aufrechterhalten. Dazu gehört der Ausschluss von BPoC1-Jazz-Musiker*innen von Fördermitteln, Preisen und Jurys. Die Unterrepräsentation von BPoC-Vorstands und Jurymitgliedern sowie von Nominierten auf nationaler Ebene zeigt einen Mangel an Beachtung, Solidarität und darüber hinaus an Anerkennung für diese Menschen. Dies verstärkt das Narrativ, dass man weiß sein muss, um im Jahr 2021 in der deutschen Jazzszene zu arbeiten und wahrgenommen zu werden.
- Kulturelle Vielfalt
Es ist unaufrichtig, wenn eine öffentliche Institution behauptet, kulturelle Vielfalt zu würdigen, es aber gleichzeitig versäumt, Intersektionalität2 zum Bestandteil ihrer Affirmative Action3 zu machen. Die erreichte Geschlechterdiversität beim diesjährigen Deutschen Jazzpreis ist ein sehr wichtiger Schritt für die Jazzszene, jedoch nur ein kleiner Aspekt von Diversität – und bei weitem nicht genug. Die Wahl eines mehrheitlich weißen und von Akademiker*innen geprägten Personals für das Gremium, die Jury und die deutschen Nominierungen spiegelt den institutionellen Rassismus, Transphobie, Ableismus und Klassismus wider, die den deutschen Förderstrukturen im Kulturbereich innewohnen. Damit wird der Preis genau jener kulturellen Pluralität der deutschen Jazzszene nicht gerecht, die in der Stellungnahme der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Prof. Monika Grütters MdB, hervorgehoben wird.
- George Floyd und Black Lives Matter, Hanau und NSU
Die Ereignisse der letzten Jahre haben es jedem unmöglich gemacht, die fortwährende systematische Ausgrenzung, Diskriminierung, Ausbeutung und Gewalt gegen Schwarze Menschen und Menschen of Color in Gesellschaften, die weiße Menschen bevorzugen, zu übersehen. Uninformiertheit und Nichtwissen sind keine Ausrede mehr. Ein Kulturpreis, der Schwarze Musik ehrt, hat die Pflicht, diese Probleme anzusprechen und ihnen entgegenzuwirken, indem er sicherstellt, dass BPoC nicht von Führungspositionen im Kultursektor ausgeschlossen werden. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre es, mehr BPoC-Mitglieder in Beiräte und Jurys zu berufen. Die Veränderung der Strukturen muss von allen Beteiligten ausgehen – von Musiker*innen, Journalist*innen, Veranstalter*innen, Labelbesitzer*innen und Kulturpolitiker*innen. Dies zu unterlassen ist gleichbedeutend mit der Akzeptanz von white supremacy. Die Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der Verantwortlichen dieses Preises, sowie die Personen, die auf nationaler Ebene nominiert werden weiß sind, zeigt einen hochproblematischen blinden Fleck der weißen Gesellschaft auf, welcher nicht zu rechtfertigen ist. Das können wir nicht akzeptieren.
Aus diesen Gründen fordern wir:
– Eine Erklärung für das Nichtzustandekommen eine intersektionalen Besetzung von Beirat, Jury, und nationalen Nominierungsliste.
– Für eine öffentliche, transparente Diskussion muss der Deutsche Jazzpreis die intersektionale Richtlinie, AGG §1 auf allen Ebenen der Organisation umsetzen. Laut unserer Information, folgen Sie dieser Gesetzgebung, jedoch sehen wir diesbezüglich keine Auswirkungen.
– Der Deutsche Jazzpreis soll in die Einstellung von professionellen BPoC-Pädagog*innen investieren, die als Diversity- und Antirassismus-Berater*innen an allen Diskussionen zu diesen Themen teilnehmen, egal ob privat oder öffentlich.
– BK Jazz, IG Jazz und Deutsche Jazzunion und Jazzverband Sachsen, Kölner Jazzkonferenz, Bayerischer Jazzverband, Jazzverband Baden-Württemberg e.V, IG Jazz Stuttgart e.V und Initiative Musik sich an diesen Diskussionen zu beteiligen.
Autor: Elias Stemeseder (mit Beiträgen verschiedener Unterstützer*innen).
Stellungnahme unterstützt von: Lucy Railton, Achim Kaufmann, Andreas Wirth, Angelika Niescier, Cansu Tanrıkulu, Cara Gallo-Jermyn, Carola Radigk, Cymin Samawatie, Dan Nicholls, Dan Peter Sundland, Declan Forde, Defne Şahin, Dejan Terzic, Erik Leuthäuser, Evi Filippou, Felix Henkelhausen, Franziska Buhre, Friederike Merz, James Banner, Jim Black, Joachim Wespel, Judith Hamann, Julius Windisch, Julia Rüffert, Lisa Hoppe, Liz Allbee, Liz Kosack, Leif Berger, Lucio Capece, Lucia Cadotsch, Ludwig Wandinger, Korhan Erel, Malte Schiller, Maria Reich, Martin Krümmling, Max Andrzejewski, Morten J. Olsen Joh, Michael Thieke, Nick Dunston, Otis Sandsjö, Paul Eiser, Petter Eldh, Rebekka Ziegler, Samuel Hall, Simon Kanzler, Zeina Azouqah.
1 BPoC, englisches Akronym für Black and Person of Color, ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismus erfahren. Im Deutschen gibt es derzeit keine Entsprechung für den Begriff People of Color/PoC. Andere Wörter, die versuchen, den Begriff ins Deutsche zu übersetzen, sind Fremdbezeichnungen mit meist rassistischer Geschichte. Der Begriff PoC beschreibt, ähnlich wie Schwarz oder weiß, keine Hautschattierungen. Es geht um die Marginalisierung aufgrund von Rassismus. In Deutschland zählen daher unter anderem Menschen aus der afrikanischen, asiatischen oder lateinamerikanischen Diaspora dazu. Dabei spielt ein eurozentrischer, rassifizierender Blick eine Rolle, der eine Folge der einstigen, nicht aufgearbeiteten Kolonisierung vieler Länder ist. (Definition nach Diversity Arts Culture).
2 Intersektionalität laut der Definition der Rechtswissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw (1994), hier erklärt von Diversity Arts Culture: Intersektionalität beschreibt das Überschneiden und Zusammenwirken von verschiedenen Diskriminierungsformen. Menschen vereinen verschiedene Eigenschaften und Identitäten in sich. Intersektionalität berücksichtigt, dass Menschen oft wegen mehreren Eigenschaften/ Identitäten benachteiligt werden.
3 Affirmative Action ist eine aus dem US-amerikanischen stammende Bezeichnung für institutionalisierte Maßnahmen, die die Diskriminierung von Frauen und Minderheiten in den Bereichen Aus- und Weiterbildung, Studium und Beruf durch gezielte Vorteilsgewährung verhindern soll. Bislang benachteiligte Bewerber sollen bei gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt und gefördert werden, in den USA wurde dies von einem entsprechenden Regierungserlass geregelt. (Definition nach Gabler Wirtschaftslexikon).
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The following statement points out some of the problems noticed in this moment by the signatories, and we acknowledge that there will be experiences and harms that are not named here, and that those experiences are critical and deserve space, naming and to be brought to light.
‘Musicians’ response to the Inaugural German Jazz Prize’
Three highly problematic political aspects of the personnel selection in the advisory board, jury and German-wide nominations of the German Jazz Award:
1. Jazz and history
Jazz has its roots in Black American culture. Its original practitioners lived and worked in a country where, to this day, racist violence is part of everyday life. This continues to develop in many forms in Germany as well. Therefore, White people who make their living playing, presenting, and writing about this music must educate themselves about structural racism and discrimination in our society and make every effort to dismantle the structures that uphold racism. Our foremost problem to address would be the exclusion of BPoC* jazz practitioners from funding, awards and juries. The underrepresentation of BPoC board and jury members, as well as nominees on a national level shows a lack of care, solidarity and furthermore recognition for these communities. This enforces the narrative that to work and gain recognition within Germany’s jazz scene in 2021, you need to be White.
2. Cultural diversity
It is dishonest for a state institution to claim to honor cultural diversity but at the same time neglect to make intersectionality** part of their so-called affirmative action***. The gender diversity achieved at this year ́s German Jazz Prize is a very important step for the jazz scene, however it is just one small aspect of diversity – and by far not enough. Choosing a mostly White and academic personnel for the board, jury and German nominees, reflects the institutional racism, transphobia, ableism and classism inherent to Germany’s cultural funding structures. Therefore, the prize has failed to honor the very cultural plurality of the German jazz scene outlined in the statement by Prof. Monika Grütters MdB, Federal Government Commissioner for Culture and the Media.
3. George Floyd and Black Lives Matter, Hanau, and NSU
The past years’ events have made it impossible for anyone to fail to recognize the ongoing systematic exclusion, discrimination, exploitation and violence against Black people and People of Color in societies that prioritize White people. Being uninformed or unaware is no longer an excuse. A cultural award that honors Black music has a duty to address and counteract these issues by ensuring that Black people and People of Color are not excluded from leadership positions in the cultural sector. An important step toward this would be to appoint more BPoC members to advisory boards and juries. A change in structures must come from everyone involved – musicians, journalists, promoters, label owners and cultural politicians. To refrain from doing so is tantamount to accepting White supremacy. The fact that the majority of those in charge of this award – including the people who are nominated on a national level – are White shows a highly problematic dismissal of White society that is unjustifiable. We do not accept this.
For these reasons, we demand:
– An explanation for the absence of an intersectional jury, board and nomination list.
– For a public, transparent discussion.
– The German Jazz Prize must implement the intersectional policy AGG §1 at every level of the organization. We believe this to be the legislation you follow, yet we do not see the effect.
– The German Jazz Prize to invest in hiring professional BPoC educators who are diversity and anti-racist consultants to attend all discussions on these matters, whether in private or public.
– We ask BK Jazz, IG Jazz and Deutsche Jazzunion and Jazzverband Sachsen, Kölner Jazzkonferenz, Bayerischer Jazzverband, Jazzverband Baden-Württemberg e.V, IG Jazz Stuttgart e.V and Initiative Musik to participate in these discussions.
Author: Elias Stemeseder (with contributions by various supporters).
Statement supported by: Lucy Railton, Achim Kaufmann, Andreas Wirth, Angelika Niescier, Cansu Tanrıkulu, Cara Gallo-Jermyn, Carola Radigk, Cymin Samawatie, Dan Nicholls, Dan Peter Sundland, Declan Forde, Defne Şahin, Dejan Terzic, Erik Leuthäuser, Evi Filippou, Felix Henkelhausen, Franziska Buhre, Friederike Merz, James Banner, Jim Black, Joachim Wespel, Judith Hamann, Julia Rüffert, Julius Windisch, Lisa Hoppe, Liz Allbee, Liz Kosack, Leif Berger, Lucia Cadotsch, Lucio Capece, Ludwig Wandinger, Korhan Erel, Malte Schiller, Maria Reich, Martin Krümmling, Max Andrzejewski, Morten J. Olsen Joh, Michael Thieke, Nick Dunston, Otis Sandsjö, Paul Eiser, Petter Eldh, Rebekka Ziegler, Samuel Hall, Simon Kanzler, Zeina Azouqah.
*BPoC, English acronym for Black and Person of Color, is a self-designation of people who experience racism. In German, there is currently no equivalent for the term People of Color/PoC. Other words that attempt to translate the term into German are not self-designated by people who experience racism, and often have racist connotations. The term PoC, much like black or white, does not describe shades of skin. It is about marginalization due to racism. In Germany, therefore, people from the African, Asian or Latin American diaspora are counted among them. A Eurocentric, racializing view plays a role here, which is a consequence of the former, unresolved colonization of many countries. (Definition according to Diversity Arts Culture).
** Intersectionality as defined by legal scholar Kimberlé Crenshaw (1994) and explained here by Diversity Arts Culture: Intersectionality describes the intersection and interaction of different forms of discrimination. Individuals embody a variety of characteristics and identities. Intersectionality takes into account that people are often disadvantaged because of several characteristics/identities.
***Affirmative action is a term originating from the U.S. for institutionalized measures intended to prevent discrimination against women and minorities in the areas of training and further education, study and work through the targeted granting of advantages. Previously disadvantaged applicants are to be given preference in hiring and promotion if they have the same qualifications; in the USA, this was regulated by a corresponding government decree. (Definition according to Gabler Wirtschaftslexikon).